Die Baubranche steht vor Herausforderungen und Veränderungen. Wir haben Gerald Beck von der Vereinigung Österreichischer Projektentwickler (VÖPE) sowie designierter CEO der BIG/ARE und Peter Krammer, Vorstandsvorsitzender der Österreichischen Bautechnik Vereinigung (ÖBV) sowie Vorstand der Swietelsky AG zum Interview getroffen und um Ihre Einschätzung gebeten, welche zukunftsweisenden Schwerpunkte gesetzt werden sollten.
Die Bau- und Immobilienbranche steht im Moment vor großen Herausforderungen. Welche strategischen Maßnahmen empfehlen Sie der Bau- und Immobilienbranche, um sich angesichts wandelnder Marktbedingungen erfolgreich zu positionieren?
Peter Krammer: Ich sehe mich nicht als Oberlehrer, der anderen Unternehmen Ratschläge erteilt, wie Positionierung in volatilen Zeiten zu erfolgen hat. Natürlich sind wir in einer herausfordernden Situation. Wir stehen nicht davor – wir sind schon mittendrinnen. Aber eigentlich kann ich sagen, dass wir den Höhepunkt der negativen Entwicklung zumindest rein psychologisch schon überschritten haben, da der Ausblick mittlerweile besser wird. Obwohl die Zahlen und die Spürbarkeit für die Bau- und Immobilienbranche noch viel dramatischer werden.
Wir sehen, dass die Baugenehmigungen gerade bei Wohnimmobilien im Jahr 2024 zurückgehen und für 2025 noch dramatischere Prognosen zulassen.
Psychologisch wird es aber besser, weil sich die Zinsentwicklung wieder absehbar nach unten bewegt. Wir sehen, dass Immobilienkredite heute wieder um die 3% abschließbar sind.
Das heißt, wir sind in einer Stabilisierungsphase nach dem dramatischen Zinsanstieg, der auch zu Insolvenzen geführt hat und noch einige Insolvenzen nach sich zieht. Wer sich in den letzten 10 Wachstumsjahren gut aufgestellt hat, wird auch 2024 und 2025 durchtauchen können. Verzweifeln ist die schlechteste Alternative, weil das positive Ende kommt.
Es muss gebaut werden, es müssen Häuser saniert werden. Wir brauchen Wohnraum. Leerstände sind nahezu nicht vorhanden, für jene, die vermieten wollen. Die Mietpreise stiegen, das Angebot am Wohnungsmarkt sinkt. Und das ist etwas, was sich die Bevölkerung und auch die Politik nicht leisten kann.
Gerald Beck: Wir setzen bei der VÖPE aktuell den Schwerpunkt, unsere Mitglieder auf das Thema ESG und Nachhaltigkeitsberichterstattung vorzubereiten. Hinkünftig wird es für die Positionierung und Marktteilhabe wesentlich sein, sich mit dem Thema bereits jetzt auseinander zu setzen. Auch wenn man selbst nicht unter die Berichtspflicht fällt, werden Partnerschaften zusehends nur mehr mit Unternehmen geknüpft bzw. erhalten werden, die Auskunft geben und als Teil der Wertschöpfungskette benötigte Datenpunkte bereitstellen können. Insbesondere im Finanzierungsbereich wird darauf in naher Zukunft vermehrt der Fokus liegen. Dies gilt neben dem Unternehmensmanagement aber auch auf Projektebene, wo unsere Mitglieder Taxonomie-konforme Gebäude abliefern werden müssen. Wichtig ist es uns, nicht nur die Pflicht dahinter zu sehen und es als lästig zu sehen, ESG-Management ist vielmehr eine Chance!
Welche aktuellen Trends und Technologien sollten Unternehmen in ihre Geschäftsmodelle integrieren, um auch in Zukunft erfolgreich zu sein?
Peter Krammer: Alles was das Bauen nachhaltiger macht. Der CO2 Ausstoß muss reduziert, Kreislaufwirtschaft verstärkt und die Vorfertigungsquote erhöht werden. Das bedingt allerdings, dass wir Planen und Bauen nicht so apodiktisch trennen können, wie wir es derzeit tun. Zum Beispiel im Rahmen von alternativen Vertragsmodellen, Early Contractor Involvement, Partnerschaftsmodellen und Allianzmodellen müssen wir zusammenfinden. Das sind alles Themen, die wir in Zukunft benötigen. Es ist meine Überzeugung, dass wenn wir diesen Weg eingeschlagen haben, weiter fortsetzen und verstärken, sich die Produktivität erhöhen, die Verschwendung reduzieren werden und damit das Bauen leistbarer wird.
Wie sehen Sie in diesem Zusammenhang den technologischen Fortschritt? Stichwort Digitalisierung?
Peter Krammer: Jeder der mich kennt weiß, dass Digitalisierung ein besonders wichtiges Thema für mich ist. Da ich der digitalen Entwicklung einen großen Stellenwert einräume, habe ich in der Bauwirtschaft dafür schon früh die Weichen gestellt. All das zuvor Gesagte gilt auch für die Digitalisierung.
Die rasche Umsetzung des Themas Digitalisierung am Bau erfordert einheitliche Systeme und Durchgängigkeit der Prozesse – und damit ein erfolgreiches Zusammenführen aller am Bau Beteiligten.
Denken wir an Building Information Modeling – jeder hat sein BIM, jeder arbeitet in seinem BIM und es gibt nichts - zumindest jetzt noch nicht - das BIM von einem zum anderen übersetzen kann.
Diese Lücke versuchen wir in der österreichischen Bautechnikvereinigung mit dem Merkmalservice zu schließen. Wir sind eine fragmentierte Branche, sehr zergliedert und eine Vereinheitlichung würde der Digitalisierung entsprechenden Schub geben.
Gerald Beck: Digitale Bestandsaufnahme und BIM zirkulieren seit Jahren in aller Munde, die richtige Anwendung davon steckt vielfach noch in den Kinderschuhen. Auch kreislauffähiges Planen und Bauen verlangt nach qualifiziertem Wissen. Man muss sich dieses Wissen bereits jetzt aufbauen, um es dann parat und gut eingeübt zu haben, sobald auch entsprechende rechtliche Verpflichtungen dazu kommen, dann hat man die Nase vorne.
Wir rechnen auch mit einer Zunahme der seriellen Produktion im Bauablauf, dafür ist die frühzeitige Kooperation und Einbindung von Partner:innen relevant und entscheidend. Dieser Bereich, der insbesondere eine Neuaufstellung von Zusammenarbeit und Vertragssystemen erfordert, ist auf jeden Fall ein Trend. Ist man hier offen, überdenkt hergebrachte rechtliche Abläufe und Strukturen, wird es sich auszahlen.
Welchen Beitrag kann Weiterbildung leisten, um auf die aktuellen und künftigen Herausforderungen gut gerüstet zu sein?
Peter Krammer: Ich ordne Weiterbildung einen großen Stellenwert zu. Insbesondere alle Themen, die den Arbeitnehmer:innenschutz betreffen und alle Themen, die mit Ökologie und Digitalisierung zusammenhängen. Aber auch der persönliche Umgang der Menschen miteinander auf der Baustelle, das soziale Verhalten hat eine große Wichtigkeit.
Gerald Beck: Gewisse Mechanismen, Denkweisen und Vorgaben werden vom Management vorgegeben werden müssen, um eine strategische Gesamtsicht zu behalten. Umsetzen müssen es kompetente und gut motivierte Kolleg:innen. Für den Aufbau des Wissens und zur Schulung in der Anwendung ist eine qualitativ hochwertige, verlässliche Fortbildung notwendig. Denn so schnell wie es jetzt mit diesen Themen gehen wird (müssen), reicht eine gute fachliche universitäre Bildung allein nicht mehr. Die Digitalakademie leistet dazu einen großartigen Beitrag.
Was würden Sie sich für die Zukunft wünschen? Wie kann man positiv miteinander in die Zukunft blicken?
Peter Krammer: Ich denke wir haben allen Grund dazu, positiv in die Zukunft zu blicken.
Wir als Baubranche sind Teil des ökologischen Wandels und der Energiewende. Wir müssen es schaffen unseren Beitrag zu leisten, wir müssen umdenken und besser werden bei dem, was wir täglich tun. Wir sind Teil der Lösung.
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